Berufsmäßig ausgebildete Ärzte waren in den Dörfern des Paderborner Landes in früheren Jahrhunderten eine Seltenheit. In gesunden Tagen empfand der ländliche Mensch den Mangel eines um ihn besorgten Arztes nicht allzu sehr, und in kranken Tagen half man sich eben, so gut es ging, mit alterprobten, aus Heilkräutern zubereiteten Arzneien.
Die erste, sicher verbürgte Nachricht über die Anwesenheit eines Arztes in Lichtenau datiert aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Am 15. Juni 1706 hat der Feldscher M. Jobst Droste "seinen Einzug gedungen." Das vor dem Rat der Stadt abgefasste Einzugsprotokoll besagt, dass er wenig oder gar nichts hatte, dass "auf der anderen Seite man allhier eines Feldschers sehr nötig habe." Darum wird ihm das geforderte Bürgergeld bis auf 2 Taler erlassen, die er innerhalb 14 Tagen zu bezahlen angelobt. Wie er sein Amt ausgeübt hat, wissen wir nicht. Er scheint auch keinen Nachfolger gehabt zu haben; denn für die nächsten Jahrzehnte fehlen uns jegliche Nachrichten über das Medizinalwesen in Lichtenau.
Als Anfang des 19. Jahrhunderts unter den Kindern wie so oft schon die bösartigen Blattern erneut auftraten, aber dank der vorsorglichen Vorbeugungsmaßnahmen und einer exakt durchgeführten Schutzimpfung die Zahl der Todesfälle auf sechs beschränkt blieb, setzte sich bei der Bevölkerung langsam der Gedanke durch, dass der Gesundheitszustand der Bewohner nicht nur periodisch, sondern dauernd überwacht werden müsse.
Die angestellten Bemühungen sind schon bald von Erfolg gekrönt. 1803 lässt sich der medizinische Lizentiat Arnold Stork als erster praktischer Arzt dauernd in Lichtenau nieder. Er fasst, was für den Landarzt so unerlässlich ist, schon bald festen Fuß unter der Bevölkerung. 1820 beruft ihn das Vertrauen der Einwohner in den Gemeinderat. Nach 20-jähriger Tätigkeit stirbt er am 1. Februar 1823.
Sein Nachfolger wird Dr. Ignatz Dunker, dessen Wiege in Geseke stand. Nur vier Jahre kann er sein Amt ausüben. Am 19. Dezember 1832 rafft ihn das Nervenfieber im besten Mannesalter hinweg. Außer ihm sterben innerhalb ganz kurzer Zeit 54 Einwohner an dieser Krankheit.
Für Dr. Dunker kommt am 10. September des folgendes Jahres Dr. Bartholomäus Ferrari von Paderborn nach Lichtenau, das ihm zur zweiten Heimat wird. Welcher Liebe und Wertschätzung dieser auch heute noch nicht ganz vergessene Arzt im Amtsbezirk Lichtenau und weit darüber hinaus sich erfreute, kam bei der Feier anlässlich seines 50-jährigen Arzt – am 6. März 1879 in beredter Weise zum Ausdruck. Es war ein Volksfest im wahrsten Sinne Wortes. Der damalige Landrat des Kreises Büren, Freiherr von Oeynhausen, ehrte den vorbildlichen Arzt und Menschenfreund durch einen persönlichen Besuch. Der Amtmann Wieneke überreichte ihm als Geschenk der Gemeinden des Amtes Lichtenau einen silbernen Pokal im Werte von 145 Mark. Gleichzeitig wurde ihm der Titel eines Sanitätsrates verliehen. Dr. Ferrari, der am 30. August 1886 starb, liegt auf dem alten Lichtenauer Friedhof begraben.
Seit 1886 hatte sich in der Person des Dr. Caspar Bartscher ein zweiter Arzt in Lichtenau niedergelassen. Seine Heimat ist Wünnenberg. Er ging später als Kreisarzt nach Paderborn und ist dort gestorben.
Wir gewinnen einen Einblick in den anstrengenden und aufreibenden Beruf eines Landarztes, der in damaliger Zeit die weiten Wege bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter, zu Fuß oder mit einem kleinen Wagen zurücklegen musste, wenn wir in den Chroniken. der einzelnen Gemeinden blättern und immer wieder von auftretenden Seuchen wie Typhus, Pocken und Ruhr lesen.
1884 erkrankten in Lichtenau plötzlich über 20 Personen an Typhus. Als Ursache werden die unsauberen Wasserverhältnisse des Odenheimer Baches festgestellt. Wie die Nachforschungen ergaben, hatte die Mehrzahl der Erkrankten das Trinkwasser aus diesem Flusslauf entnommen. Die Ärzte dringen nunmehr auf die Anlage einer hygienisch einwandfreien Wasserleitung, die bis dahin völlig unzureichend war und aus ausgehöhlten Baumstämmen bestand. Mancherlei Widerstände waren aus dem Wege zu räumen, bis sie im Jahre 1890 in Betrieb genommen werden kann.
Der Tätigkeitsbereich eines Arztes in Lichtenau erstreckte sich nicht nur auf die einzelnen Orte des Amtes, auch die Dörfer des Altenautales wurden bis in die jüngste Zeit und zum Teil heute noch von ihm betreut.
Die Stelle des verstorbenen Arztes Dr. Ferrari nimmt Dr. med. Theben ein, und für den nach Paderborn verzogenen Dr. Bartscher kommt Dr. S. Löwenstein nach Lichtenau. Dr. Theben bleibt bis zum Jahre 1908 und verzieht dann nach Münster. Seine Praxis wie auch sein Besitztum an der Langestraße übernimmt im Herbst des gleichen Jahres der aus Hildesheim kommende prakt. Arzt Dr. med. Karl Wolf, der bis auf den heutigen Tag ungezählten Kranken und werdenden Müttern Freund und Helfer gewesen ist. Seit dem Jahre 1946 üben zwei weitere Ärzte, Dr. Hack und Dr. Eicker, in Lichtenau ihre Praxis aus.
Noch um 1750 gab es im ganzen Fürstentum Paderborn nur fünf Apotheken, und zwar zwei in Paderborn, je eine in Büren, Warburg und Dringenberg. Das war auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand. Die Tätigkeit eines dauernd in Lichtenau ansässigen Arztes hatte die Niederlassung eines Apothekers zur notwendigen Folge.
Noch im gleichen Jahre, in dem sich der medizinische Lizentiat Stork in Lichtenau niederlässt, eröffnet der aus dem Hessischen stammende (Hessisch Lichtnau!) Apotheker Jacob Reinemann gegenüber dem alten Rathause eine Apotheke. Sie ist sein persönliches Eigentum. Über seine Person und seine Tätigkeit lässt sich aus den in Lichtenau noch vorhandenen Akten nichts mehr in Erfahrung bringen.
Sein Nachfolger ist der Apotheker Benedikt van Nuysh (Nuyss), der uns im Revolutionsjahr 1848 und in den folgenden Jahren auch als Stadtrat begegnet. Er nahm auch sonst am öffentlichen Leben der Stadtgemeinde den regesten Anteil. Ein Angehöriger dieser Familie, Leopold van Nuyss, stirbt am 18. August 1870 in der Schlacht bei Gravelotte den Heldentod. Letzter Inhaber der Apotheke war Wilhelm van Nuyss. Er stirbt im Jahre 1906 im Alter von 71 Jahren. Zusammen mit seiner Gemahlin, Anna geb. Ferrari, fand er seine Ruhestätte auf dem alten Friedhof in Lichtenau.
Kurz darauf geht die Apotheke in den Besitz des Apothekers Josef Köster aus Beverungen über. Nach dessen frühem Tode lässt die Witwe die Apotheke zunächst eine Reihe von Jahren verwalten, bis sie am 3. März 1936 von dem Apotheker H. Schulze aus Merchweiler käuflich erworben wurde. Unter ihm fanden durchgreifende Erneuerungsarbeiten statt. Er verließ Lichtenau bald wieder und verzog in die Nähe Freiburgs in Baden. Jetziger Inhaber der Engel-Apotheke ist der Apotheker Hermann Wolbring. Um der Bevölkerung des Altenautales den weiten Weg nach Lichtenau zu ersparen, erhielt Atteln als Zweigstelle im vergangenen Jahre eine eigene Apotheke.
Seit dem Jahre 1907 besitzt die Stadt Lichtenau ein eigenes Krankenhaus. Der Vorteil, der ihr dadurch erwachsen ist, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Außer gelegentlichen Notizen, die sich aber mehr auf die Armen- und Waisenpflege beziehen, sind wenig Nachrichten über eine geregelte Krankenbetreuung aus der älteren Zeit auf uns gekommen.
Im 17. Jahrhundert ist von einem Siechenhause der Stadt die Rede. 1683 war es, wahrscheinlich wegen Baufälligkeit "heruntergefallen " und aus Mitteln der Stadt für 20 Reichstaler wieder aufgebaut. Es kann nicht groß gewesen sein.
Um die Wende des 18. Jahrhunderts wurden die Kranken nach Paderborn in Pflege gegeben. Hier war auf Betreiben der Landstände von dem Arzte Dr. Wilhelm Anton Ficker das Landeshospital ins Leben gerufen mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass nur Kranke aus den vier südlichen Kreisen Paderborn, Büren, Höxter und Warburg darin Aufnahme finden sollten. Das war auch der Anlass, der Anstalt den Namen Landeshospital zu geben. Bis zum Ende 1805 befand es, sich in der Mühlenstraße im sogenannten Haxhausenhofe und nach vorübergehender Unterbringung im Meierreigebäude des ehemaligen Abdinghofklosters seit 1831 im alten Kapuzinerkloster in der Kisau.
1945 fiel es den Bomben zum Opfer. Nach einem vom Vorstand des Spitals veröffentlichten Bericht aus dem Jahre 1832 sind seit der Errichtung der Anstalt bis zum 2. August 1832 an Armen aus den Ortschaften des Kreises Büren unentgeltlich verpflegt und behandelt 1204 Personen. Bis zum Ende des Jahres erhöhte sich diese Zahl um weitere 102 Kranke. In den folgenden Jahren fehlen uns die genauen Angaben für die einzelnen Kreise. Indessen, so schreibt der Chronist, wird auch von 1835 bis 1840 gewiss keine geringere Anzahl unserer armen erkrankten Kreisbewohner dort aufgenommen sein.
Der Kreis Büren hielt es indessen für seine selbstverständliche Pflicht, dieser Krankenpflegestätte seine Dankbarkeit zu bezeigen und brachte den einzelnen Gemeinden in Vorschlag, bei Aufstellung der Kommunaletats für die Jahre 1839 bis 1841 dieses zu berücksichtigen.
Es sollte ein Geschenk sein. 135 Taler 12 Groschen 2 Pfennige wurden im ganzen aufgebracht. Lichtenau als Pfarrort steuerte mit seinen Filialen folgende Summe bei: Lichtenau 6 Taler, Holtheim 5 Taler 8 Groschen 6 Pfennige, Hakenberg 2 Taler 1 Groschen 3 Pfennige und Ebbinghausen 1 Taler 20 Groschen 3 Pfennige.
Der leitende Arzt des Landeshospitals, Dr. Schmidt, stellt in seinem Jahresbericht vom 3. August 1841 diesen edlen Dankeserweis besonders heraus und , schließt mit den Worten: "Möge der Segen , des Himmels dem Kreise Büren hundertfach vergelten, was er für die Unglücklichsten seiner Bewohner getan hat! Möge die Nachwelt nicht vergessen, dass der Grundstein zum fortschreitenden Wohlstand des Kreises Büren durch ein Werk christlicher Nächstenliebe gelegt ist!"
Der langgehegte Wunsch, ein eigenes, Krankenhaus zu besitzen, sollte für Lichtenau um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts der Verwirklichung einen Schritt näher gebracht werden.
Die im Jahre 1867 verstorbene Witwe Theresia Huck geborene Fischer, bestimmte als letztwillige Verfügung, dass der größte Teil ihres Vermögens dazu dienen sollte, eine Kranken- und Armenpflegestätte ins Leben zu rufen. Jahre vergingen noch, ehe der Plan zur Ausführung gelangte.
Am 22. August 1907 nahmen Pfarrdechant Köhnhorn und Bürgermeister Böhner die feierliche Grundsteinlegung vor. Im Herbst desselben Jahres war der Rohbau fertiggestellt, und am 25. Oktober 1908 fand im Beisein des Landrats von Savigny die kirchliche Einweihung statt.
Vier Schwestern aus dem Mutterhause der Franziskanerinnen in Salzkotten übernahmen die Betreuung des Hauses, während die ärztliche Leitung Dr. Wolf übertragen wurde. Welcher Segen in den hinter uns liegenden 43 Jahren von dieser Anstalt ausgegangen ist, lässt sich nur schwer in Worten sagen. Da die vorhandenen Räumlichkeiten schon seit Jahren den gesteigerten Anforderungen nicht mehr genügen, plant die Gemeinde Lichtenau, den vorhandenen Bau zu vergrößern. Möge diese Absicht bald ihre Verwirklichung finden.
Dieser Artikel über das Medizinalwesen in Lichtenau wurde von Heinrich Rühing – geboren am 18.11.1903 in Bestwig, Lehrer in Lichtenau und Fürstenberg, gestorben am 19.04.1960 in Fürstenberg – vermutlich 1951 für das Westfälische Volksblatt geschrieben. Er ist neu in der Festzeitschrift Lichtenau 2001 erschienen. Ich bedanke mich bei den Herausgebern Josef Hartmann und Bernd Kruse sowie der AG Dorf Lichtenau für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf der Webseite.
Der Apothekerfamilie Wolbring folgten verschiedene Pächter, Apotheker Karl Josef Busch 1961, Apotheker Franz Josef Tollmann 1965 und Apotheker Ulrich Blasche 1970. Der Apotheker Hans Gerhard Jost kaufte dann 1975 die Engel-Apotheke von den Eheleuten Wolbring, die ihren Lebensabend in Wesel verbrachten.
Der fünf Jahres Rhythmus wurde erst 1980 durch die Übernahme der Engel-Apotheke meinerseits ( Günter Dyballa) durchbrochen.
An dem nun denkmalgeschütztem Haus sind in den letzten Jahren umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt worden. Die Apotheke ist zu einem Gesundheitsdienstleister mit großem Leistungsspektrum umstrukturiert worden.